Flucht, Migration, Integration

Die Ringvorlesung setzt sich in einem breiten Spektrum mit historischen und aktuellen Aspekten von Flucht, Migration und Integration auseinander. Wie bei der Ringvorlesung im SoSe 2015, Paris und die Folgen, werden in jeder Vorlesungseinheit je zwei Vortragende zu Gast sein, die aus ihrer Perspektive diese Stichworte aufgreifen, sei es historisch oder gegenwartsbezogen, in der Verschränkung von systematischen Überlegungen und problembezogenen Fragestellungen. An die Kurzvorträge werden gemeinsame Diskussionen anschließen.  Beteiligt sind Bonner Dozenten und Dozentinnen aus den Bereichen antike Philologie, Philosophie und Historiographie, evangelische und katholische Theologie, Politologie, Rechtswissenschaft, Sozialgeographie, Literatur-und Kulturwissenschaft, Anthropologie. Auch Experten und Expertinnen von außerhalb, z. B. vom Deutschen Städtetag, sind zu Gast. In einer Sitzung werden Initiativen aus der Stadt ihre aktuellen Projekte in der Flüchtlingsarbeit vorstellen.

Hier finden Sie Plakat und Flyer dieser Veranstaltungsreihe.

Außerdem die Publikation.

Programm

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Flucht und Trauma – Psychische Implikationen der Heimatlosigkeit
Die Erfahrung von Flucht und Vertreibung ist ein traumatisches Erlebnis, das mit starken Gefühlen von Hilflosigkeit und Angst einher geht. Längerfristig können aus der Traumatisierung verschiedene psychische Störungen resultieren wie Angststörung, Depression oder die posttraumatische Belastungsstörung. Die Häufigkeit psychischer Erkrankungen bei Flüchtlingen unter besonderer Berücksichtigung der posttraumatischen Belastungsstörung sollen besprochen werden. Die Schwierigkeit der inneren Verortung dieser Erlebnisse im autobiographischen Gedächtnis ist dabei von besonderer Bedeutung, da die negativen Emotionen als sensorische Fragmente ohne klare räumliche und zeitliche Zuordnung abgespeichert werden. Diese unzusammenhängenden und schmerzlichen Erinnerungssplitter treten plötzlich und anlasslos ins Bewusstsein und stellen für die Betroffenen ein alltägliches Bedrohungsszenario dar. Insofern korrespondiert die äußere Heimatlosigkeit mit einer angstvollen inneren Verlorenheit. Neben den neurobiologischen Aspekten der posttraumatischen Belastungsstörung sollen Risiken und Möglichkeiten der Heilung bei Flüchtlingen aufgezeigt und diskutiert werden.

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Flüchten helfen. Kulturanthropologische Perspektiven auf eine aktuelle Form zivilgesellschaftlichen Engagements
Im September 2015 verbreitete sich über eine Facebook-Webseite die Nachricht, dass über hundert Flüchtende auf ihrer Durchreise nach Skandinavien in einem Bahnhof einer mittelgroßen norddeutschen Stadt angekommen waren und dort nun übernachten mussten. In kürzester Zeit begann sich daraufhin ein breites lokales Netzwerk aus Einzelpersonen und zivilgesellschaftlichen Initiativen zu organisieren, um vor Ort Hilfe zu leisten. Rund um den Bahnhof bauten die freiwilligen HelferInnen in den folgenden Tagen und Wochen in Eigenleistung mit Sperrholzplatten, Notebooks, selbstgemalten Schildern, Mehrfachsteckdosen und Sachspenden eine umfassende und komplexe Infrastruktur auf, um die teils bis zu 1500 Flüchtenden pro Tag mit Nahrung, Kleidung, Hygieneartikeln, Schlafplätzen, Informationen und Strom für Smartphones zu versorgen. Die Initiative war für die BewohnerInnen der Region durch die eigene Berichterstattung in sozialen Medien sowie die Berichterstattung anderer Medien, durch lokale Solidaritätsaktionen, aber auch durch die infrastrukturelle Bedeutung des Bahnhofs über dessen architektonische Grenzen hinaus sichtbar.
In meinem Vortrag werde ich dieses Engagement am Beispiel meines laufenden Forschungsprojekts zu »Subjektivitäten, Repräsentationen und Praktiken der zivilgesellschaftlichen Fluchthilfe« aus einer kulturanthropologischen Perspektive beleuchten. Dabei werde ich mich der Frage widmen, wie zivilgesellschaftliche Fluchthilfe im Spannungsfeld von staatlich-institutionellen sowie alltagsweltlichen Praktiken und Diskursen im Lokalen ausgehandelt wird. Der Vortrag basiert auf ethnographischen Feldstudien vor Ort, auf teilnehmenden Beobachtungen am Bahnhof, Interviews mit Beteiligten sowie der Auswertung von Sozialen Medien und medialer Berichterstattung.

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Die seit den 1980er Jahren vor allem in den protestantisch geprägten Staaten Nordwest- und Mitteleuropas zunehmende Praxis des Kirchenasyls bildet ein Konfliktfeld zwischen Politik und Religion. Nach Ansicht zahlreicher praktizierender Christen führen die restriktiven Zuwanderungs- und Asylpolitiken der Nationalstaaten und der EU zu humanitären Härtefällen, die dem demokratischen Ordnungsprinzip der Achtung der menschlichen Würde nicht mehr in ausreichendem Maße gerecht werden. Daraus ergab sich ein Konflikt mit den staatlichen Ordnungsbehörden, der in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise aber noch einmal ein ganz neue Gestalt mit veränderten Akzenten angenommen hat.

Flüchtlingsströme begrenzen – Integration vor Ort gestalten
Die Integration der Flüchtlinge bei gleichzeitiger Wahrung und Festigung des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft ist die zentrale Zukunftsherausforderung. Es wird gemeinsamer und abgestimmter Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen bedürfen, um dieses erfolgreich zu meistern und Zukunftsperspektiven für unser Land zu entwickeln.
Deutschlands Aufnahmefähigkeit ist begrenzt. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund setzt sich dafür ein, dass die Außengrenzen der EU geschützt, die Flüchtlinge in Europa gerecht verteilt, die Fluchtursachen bekämpft und die Aufnahme- und Asylverfahren in Deutschland verbessert und beschleunigt werden.
Ein Großteil der Integrationsarbeit wird vor Ort, in den Städten und Gemeinden, zu leisten sein. Hierfür müssen Bund und Länder die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Eine erfolgreiche Integration muss verbindliche Ziele und Regelungen beinhalten, für die Migranten selbst und auch für die Menschen, die vorher schon in Deutschland waren und auf deren Akzeptanz und Engagement es für eine erfolgreiche Integration entscheidend ankommen wird. Dies sollte in einem Gesetzbuch für Migration und Integration geregelt werden. Die zentralen Ansatzpunkte für eine gelingende Integration sind aus kommunaler Sicht:
Konzept für Residenzpflicht – entscheidende Planungsgrundlage: Eine Integration der Flüchtlinge kann dann gelingen, wenn eine gleichmäßige und gerechte Verteilung auf alle Regionen Deutschlands sichergestellt ist. Notwendig ist eine zeitlich befristete, verbindliche Residenzpflicht, vor allem auch nach Abschluss des Asylverfahrens, um Planungssicherheit für die Kommunen zu schaffen. Eine Residenzpflicht ist mit einem positiven Anreizsystem sowie mit Sanktionsmaßnahmen für die Neubürgerinnen und -bürger zu verknüpfen.
Wohnraumversorgung: Um sowohl Flüchtlingen als auch anderen Wohnungssuchenden eine Chance auf eine bezahlbare Wohnung zu bieten, bedarf es einer Wohnungsbauoffensive. Bis zum Jahr 2020 besteht ein Neubaubedarf von ca. 400.000 Wohnungen pro Jahr.
Gesellschaftliche Integration und Verpflichtung auf unsere Wertegemeinschaft: Entsprechend des Grundsatzes „Fördern und Fordern“ sollte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Flüchtlingen mit Bleibeperspektive eine Integrationsvereinbarung mit klar definierten Förderangeboten, aber auch der Verpflichtung zur Erfüllung dieser Angebote und dem Hinweis auf Sanktionsmöglichkeiten geschlossen werden.
Integration muss finanziert werden: Wir brauchen eine klare und ehrliche Feststellung der Kosten der Migration und Integration – und sodann die Schaffung solider Finanzierungen dafür. Der DStGB fordert daher eine Änderung des Grundgesetzes durch Erweiterung des Katalogs der Gemeinschaftsaufgaben in Art. 91 a GG auf den Bereich der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen und Asylsuchenden.
Zugang zum Arbeitsmarkt fördern: Vor Ort müssen sich lokale Bündnisse für Integration und Arbeit etablieren. In diesen Bündnissen sollten die Kommunen, die Handels- und Handwerkskammern, kommunale Unternehmen und Bildungseinrichtungen, Kirchen, Wohlfahrtsorganisationen und ehrenamtlich Engagierte zusammenarbeiten. Ziel dieser Bündnisse muss es sein, auf der einen Seite die individuelle Förderung der Menschen in allen Bereichen des Alltagslebens zu gewährleisten, auf der anderen Seite an der Weiterentwicklung der regionalen Stärken und der lokalen Identität zu arbeiten.
Integration durch Spracherwerb, Bildung und Betreuung: Der Erwerb der deutschen Sprache ist grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. Es ist Aufgabe des Bundes, in ausreichendem Umfang Plätze in Sprach- und Integrationskursen für alle Flüchtlinge mit Bleibeperspektive zu schaffen. Die Teilnahme an den Sprach- und Integrationskursen muss verpflichtend sein.
Stärkung des öffentlichen Dienstes und bürgerschaftlichen Engagements: Die Flüchtlingskrise hat gezeigt, wie wichtig eine funktionierende Verwaltung und ein ausreichender Sicherheitsapparat sind. Die Unterbringung, Versorgung und Integration der Asylbewerber und Flüchtlinge braucht zusätzliches Personal. Schätzungen gehen von bis zu 50.000 zusätzlichen Sozialarbeiterinnen und -arbeitern, 20.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei Bund, Ländern und Kommunen, 20.000 neuen Lehrerinnen und Lehrern, 6.000 Ärztinnen und Ärzten und Erzieherinnen und Erziehern für rund 70.000 zusätzliche Kita-Plätze aus. Zudem müssen die Polizeikräfte der veränderten Lage angepasst werden – Sicherheit und Sicherheitsempfinden sind wichtig für gesellschaftliche Integration!
Die aktuellen Positionen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes sind auf der Homepage www.dstgb.de zu finden.

Integration und Segregation asylberechtigter Flüchtlinge in nordrhein-westfälischen Städten und Gemeinden
Kaum ein Tag vergeht heute, ohne dass nicht in politischen Gremien, in Talkshows oder auf Plattformen der sozialen Medien über die Zuwanderung und Integration von Flüchtlingen debattiert wird. In den vergangenen Jahren sind die Flüchtlingszahlen in Europa und insbesondere in Deutschland rasant angestiegen und gelten inzwischen als die zentrale Herausforderung für das gesellschaftliche Zusammenleben in den kommenden Jahren. Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden allein im letzten Jahr fast eine halbe Million Anträge auf Asyl entgegengenommen.
Bei einer Gesamtschutzquote von fast 50 % für 2015 wird deutlich, dass eine große Zahl der Antragsteller rechtlich die Möglichkeit hat, für mehrere Jahre in Deutschland zu bleiben. Die Länder und Kommunen stellt dies vor enorme Herausforderungen. Stehen derzeit noch Aufgaben wie Unterbringung, Registrierung und Versorgung im Zentrum des Interesses, werden zukünftig die Fragen einer langfristigen Integration der bleibeberechtigten Flüchtlinge an Bedeutung gewinnen. Zentrale Aspekte sind dabei das Erlernen der deutschen Sprache, die Eingliederung in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, die Vermittlung von Wohnraum und das Zusammenleben in der Aufnahmegesellschaft. Darüber hinaus geht es auch um die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Ein gewandelter gesellschaftlicher Umgang mit Fluchtmigration – mit einem Nebeneinander von umfassendem ehrenamtlichen Engagement und massiver Ablehnung – ist dabei festzustellen.
Mit dem Anstieg der Fluchtmigration nach Europa und Deutschland hat sich die Migrationsforschung wieder verstärkt dem Thema der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen zugewandt. In Anlehnung an das Konzept zur Integration von Zuwanderern des Soziologen Hartmut Esser (1980) sind dabei vier zentrale Dimensionen der Integration zu unterscheiden: 1. die kognitive (Beherrschung der Verkehrssprache, Normenkenntnis, Habitus), 2. die strukturelle (Einkommen, Arbeitsmarktposition, räumliche Segregation), 3. die soziale (Kontakte, Beziehungen, Partizipation) und 4. die „identifikative“ Dimension (Zugehörigkeitsgefühl, Einbürgerungsabsicht).
Die Wohnsituation gilt als ein zentraler Aspekt der zweiten Dimension, der strukturellen Integration von Zuwanderern. Die Seminarstunde wird dieses Thema aufgreifen. Der Wohnort wird durch die Struktur des Wohnungsmarktes, die individuellen Präferenzen sowie die zur Verfügung stehenden ökonomischen Ressourcen bedingt. Er beeinflusst den Zugang zu verschiedenen Aktionsräumen in den Städten, unterschiedlichen Netzwerken und Infrastrukturen. In der Stadt- und Regionalforschung werden vor allem die Folgen räumlicher Segregation von Zuwanderern differenziert bewertet (vgl. den Vorbereitungstext von Häußermann/Siebel 2001). Allein aus der Konzentration von Migranten in einem Stadtquartier ist noch keine soziale Desintegration abzuleiten Eingliederungsschwierigkeiten und Konflikte sind zu erwarten, wenn sich ethnische Segregation und sozioökonomische Benachteiligung dauerhaft überschneiden Bei einer räumlichen Konzentration von Personen mit geringer Bildung, materiellen Unsicherheiten und Zukunftsängsten ist eine Verstärkung der sozialen Distanz und Konkurrenz um knappe Ressourcen, wie z.B. um bezahlbaren Wohnraum, sowie Auseinandersetzungen um Lebensstile zu erwarten. Die Folge sind überforderte Nachbarschaften, in denen Konflikte primär sozioökonomischen Ursprungs ethnisiert werden.

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PD Dr. Hedwig Pompe (AIK)
Prof. Dr. Volker Kronenberg (Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie)

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