Gemeinsam leben, gemeinsam zerstören? Politiken der Gemeinschaft

Gemeinsam leben, gemeinsam zerstören? Politiken der Gemeinschaft

Dies Academicus, 06.12.2023, Hörsaal II (Hauptgebäude)

Gemeinschaften zu bilden ist lebensnotwendig. Unterschiedliche Formen und Praktiken von Gemeinschaften geben dem individuellen Wunsch nach Zugehörigkeit und Identität stiftenden Ereignissen in der Gruppe Raum. Wissen, Handeln, Phantasien und Ideale gemeinsam teilen zu können, generiert positives Selbsterleben.

Aber es gibt ebenso die sozialen, politischen und existentiellen Schattenseiten, die Gemeinschaft mit sich bringen kann, etwa die Erwartung an regelkonformes Verhalten, die Forderung, eigene Interessen zugunsten eines Kollektivs zurückzustellen oder die Erfahrung der Ausschließung aus einer Gruppe.

Die Vorträge des Nachwuchsforums beleuchten ‚Politiken der Gemeinschaft‘ aus der Perspektive von Literaturwissenschaft, Philosophie, Politischer Theorie und Kulturanthropologie. Es geht u.a. um grundlegende Theoreme für Gemeinschaft, um Verfahren, die Ein- und Ausschlüsse im Sinne der Gemeinschaft bewirken, um Machtverhältnisse und um Parameter und Unterscheidungen, die Identitäten erzeugen und zerstören können.

Betreuer*innen der Vortragenden:
Prof. (em.) Dr. Mechthild Albert; Prof. Dr. Juan Matas Caballero (Universidad de León); Prof. Dr. Ingo Stöckmann; Prof. Dr. Grit Straßenberger; Prof. Dr. Ove Sutter; Prof. Dr. med. Christiane Woopen

Das 12. DIES&DAS Forum wird veranstaltet von der Arbeitsstelle Internationales Kolleg.

Hier finden Sie den Flyer dieser Veranstaltung.

Programm

9.15 Uhr
Paul Emschermann, M.Ed. (Romanistik)

Der Vortrag behandelt die Rolle der jungen, unverheirateten Tochter, der doncella, gegenüber der väterlichen Autorität im spanischen Barocktheater des späten 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts. Im Siglo de Oro, dem sog. ‚Goldenen Zeitalter‘, erschafft Lope de Vega starke weibliche Figuren, welche sich im Kontext der gesellschaftlichen Spannungen der Frühen Neuzeit gegen die geltenden Regeln der Familiengemeinschaft als Keimzelle der Gesellschaft auflehnen. Die Untersuchung erfolgt exemplarisch anhand des Stückes El ruiseñor de Sevilla.

10.15 Uhr
Nicolas Knecht, M.A. (Philosophie)

Gemeinschaft ist ein Faktum, mit dem Menschen immer schon umgehen müssen. Wie diese aber zu gestalten sei, das ist die entscheidende Frage. Eine Theorie, die des Philosophen Immanuel Kants, wollen wir uns in diesem Vortrag genauer anschauen. Von der Grundlage, wie Menschen zueinanderstehen (sollten), über die Natur des Menschen bis hin zur Diskussion, wie ernst man es mit der Demokratie zu nehmen hat, gibt es einiges zu klären und Kritisches anzumerken.

11.15 Uhr
Theresa Gerlach, M.A. / Sönke Hollenberg, M.A. (Politische Theorie und Ideengeschichte)

Die Bedeutung der Gemeinschaft wird in der modernen demokratietheoretischen Debatte kontrovers diskutiert. Während die Kritiker:innen vor den konformistischen Tendenzen einer ,Tyrannei der Mehrheit‘ warnen, sind die Verteidiger:innen der Überzeugung, dass die liberale Demokratie auf ein gewisses Maß an Gemeinschaftssinn und aktivbürgerschaftlichem Engagement nicht verzichten kann. In unserem Vortrag wollen wir die sich hinter diesen konträren Perspektiven verbergenden Traditionen politischen Denkens vorstellen und davon ausgehend Potentiale, Grenzen und Erosionsdynamiken der Gemeinschaft in der Demokratie ausloten.

13.15 Uhr
Roman Olshevskiy, M.A. (Kulturanthropologie)

Workout plans, investment advice, dating strategies and diet recommendations accompanied by flashy stereotypically masculine imagery – this is the kind of content proliferating in the segment of the Internet called the “manosphere”. This cis-male-dominated space is filled with lifestyle gurus discussing modern men’s problems and providing solutions. However, this kind of content, e.g. from such influencers as Andrew Tate or Jordan Peterson, frequently slides into anti-feminist and anti-egalitarian rhetoric. Thus, masculinity becomes politicized and the seemingly harmless self-improvement content transforms into a political arena. Therefore, it is worth investigating how specific type of self-improvement content appeals to men and how it becomes intertwined with reactionary politics.

14.15 Uhr
Jakob Höfting, M.A. (Neuere Deutsche Literatur)

Gemeinschaften sind irreduzibel politisch: Wer gehört zu einer Gemeinschaft (nicht) dazu? Wer hat in einer Gemeinschaft (nicht) das Sagen? Wie verhalten sich unterschiedliche Gemeinschaften und Gemeinschaftsformen zueinander? Anhand von Ursula K. Le Guins Roman The Dispossessed und Franz Kafkas Erzählung Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse werden diese Fragen in Hinsicht auf zwei entscheidende Momente herausgearbeitet. In The Dispossessed werden Selbstbestimmung, Hierarchien und Ungleichheiten räumlich in Gegenüberstellung planetarer Dimensionen des anarcha-feministisch organisierten Planeten Anarres und des kapitalistisch-patriarchalen Planeten Urras sowie zeitlich unter dem Aspekt von Simultanität und Sequenzialität verhandelt. In Josefine werden die Involviertheit und Unmöglichkeit der Beschreibung einer Gemeinschaft von außerhalb durchexerziert. Trotz des Bemühens der Erzählinstanz um Rationalität und Ausgewogenheit wird diese und damit auch die Rezeption des Textes zu einem intrikaten, zwangsläufig ‚animalisch instinktiven‘ Sich-immer-schon-verhalten-zu genötigt: Gemeinschaftsgestaltung ist ein dynamischer Prozess und jeder Sprechakt hat unmittelbare Konsequenzen für den Einschluss und Ausschluss von Individuen und das Selbstverhältnis einer Gemeinschaft. Le Guin und Kafka beschreiben Gemeinschaften beide politisierend und durch die Verbindung der analysierten Dimensionen und Dynamiken von Gemeinschaften können Faktoren von deren politischer Ausgestaltung ausgemacht werden. Was ganz konkret auch Konsequenzen für die Politisierung von Gemeinschaft in der Nachwuchswissenschaft hat.

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