Un/Mögliche Welten
Dies Academicus, 06.12.2017. HS III
Unser aktuelles Rahmenthema Un/Mögliche Welten wird in den Vorträgen des Tages aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven erörtert: Die Beiträge aus der Biodiversität, der Geographischen Entwicklungsforschung, der Wissenschaftsforschung, der Environmental Risks and Human Security, der Allgemeinen Psychologie und der Germanistik geben Einblicke in die Evolution von endemischen Arten unter extremen Lebensbedingungen, berichten von Versuchen der Wiederherstellung ursprünglicher Biotope, beleuchten sozial-ökologische Veränderungen, die der Klimawandel bewirkt, stellen Ideen zur Neugestaltung der Welt durch Geoengineering vor, erläutern Konzepte für weltweit agierende humanitäre Hilfe, betrachten das Verhältnis von psychotropen Substanzen und Weltwahrnehmung oder erörtern die phantastische ‚Souveränität‘ von Zombies.
Der Keynote-Vortrag von Prof. Dr. med. Dr. phil. Thomas Heinemann von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar zu ethischen Fragen, die die Verwendung pluripotenter Stammzellen aufwirft, rundet das Spektrum des Forums aus Forschung und Lehre ab.
Betreuer und Betreuerinnen der vortragenden Nachwuchswissenschaftler und Nachwuchswissenschaftlerinnen:
Prof. Dr. Ulrich Ettinger (Allgemeine Psychologie) / Prof. Dr. Jürgen Fohrmann (Germanistik) / Prof. Dr. Detlef Müller-Mahn (Entwicklungsgeographie) / Prof. Dr. Rudolf Stichweh (Direktor Forum Internationale Wissenschaft) / Prof. Dr. Julia Verne (Entwicklungsgeographie) / Prof. Dr. Maximilian Weigend (Nees Institut für Biodiversität)
Programm
Die Prognosen einer Welt im Zeichen des Klimawandels fordern die Menschheit heraus, die Zukunft mithilfe von Technologien und innovativen Lösungsansätzen greifbarer und regierbarer zu gestalten. Die Forecast-based Financing (FbF) Initiative der Rotkreuzbewegung setzt sich zum Ziel, humanitäre Hilfe stärker mit Technologien der Frühwarnung und Klimaanalyse zu verknüpfen, um ein antizipatives Katastrophenmanagement zu ermöglichen. Angeleitet von der Akteur-Netzwerk-Theorie und der Travelling Idea wird das Konzept von seinen Innovationsstätten im Globalen Norden bis hin zum Implementierungsort in den Pilotdistrikten Mosambiks begleitet. Der Vortrag fragt: Wie wandert das Konzept zwischen New York, Genf, Den Haag, Berlin und Maputo und wie wandelt es sich dabei?
Das ländliche Afrika erfährt aktuell vielfältige soziale und ökologische Transformationen unter den Bedingungen der Globalisierung und des Klimawandels. In den Vorstellungen davon, wie diese sozial-ökologischen Veränderungen zukünftig das Leben von KenianerInnen beeinflussen sollen, treffen gegenläufige Hoffnungen, Wünsche und Visionen aufeinander. In der Region Laikipia und dem Gebiet um die Stadt Naivasha können gegenwärtig Konflikte beobachtet werden, die teilweise mit alltäglicher Waffengewalt beim Fischen, dem Bestellen von Land oder dem Hüten von Vieh ausgetragen werden. Hierbei geht es sowohl um den Zugang zu überlebenswichtigen Ressourcen als auch um die Herstellung einer spezifischen Zukunftsvision. Unser Vortrag stellt dar, dass dem Zukunftsentwurf der kenianischen Regierung „Vision 2030“ zivilgesellschaftliche Erwartungen entgegenstehen, die das Gestaltungsmonopol der Regierung immer konsequenter hinterfragen.
Wasser ist ein definierender Faktor für die Gestalt der Erdoberfläche und für alles Leben auf der Erde. Wie die Evolution des Lebens und die Veränderungen der Erdoberfläche unter extremer Trockenheit ablaufen, ist bislang jedoch kaum erforscht. Dem geht nun ein interdisziplinäres Forscherteam im Projekt „Earth – Evolution at the dry limit“ nach. Schauplatz der Untersuchungen ist die Atacama-Wüste in Südamerika, die mit rund 550 Pflanzenarten erstaunlich artenreich ist. Viele Arten sind Endemiten, sie kommen also nur dort vor. Sie sind allerdings nicht gleichmäßig verteilt, sondern konzentrieren sich auf einen schmalen Küstenstreifen und die Hochlagen der Anden. Wie konnten sich so viele Arten unter den lebensfeindlichen Bedingungen der Atacama entwickeln und wie kommt es zu dieser ungleichen räumlichen Verteilung?
Auf Mauritius, einer Insel im Indischen Ozean, sind viele einheimische, endemische Tier- und Pflanzenarten durch invasive Arten und durch die Fragmentierung des Lebensraumes bereits ausgestorben oder bedroht. Eine Gruppe Naturschützer versucht auf der kleinen Offshore-Insel Île aux Aigrettes ein ursprüngliches Ökosystem wiederherzustellen – ein Mauritius der Vergangenheit. Dabei gibt es viele Herausforderungen: Die nativen Ebenholz-Bäume wachsen langsamer als invasive Pflanzen, endemische Vogel- und Reptilienarten werden durch invasive Tiere schnell dezimiert, und manche wichtigen Tierarten sind bereits ausgestorben. Die Utopie von Île aux Aigrettes ist ein ständiger Wettlauf gegen Zeit und Geld, mit einem vielleicht unmöglichen Ziel. Wie werden die Ideale der Utopie in der Praxis umgesetzt? Was ist (un)möglich, und wo gibt es kreative Auswege?
Was mit Metaphern wie „Fixing the Sky“ oder „Hacking the Planet“ umschrieben zunächst als Science-Fiction anmutet, gewinnt spätestens seit der Adressierung durch wissenschaftliche Akademien in Großbritannien und den USA sowie der Aufnahme in den letzten IPCC Bericht zunehmend an Prominenz: Geoengineering. Dies bezeichnet den gezielten technologischen Eingriff in das globale Klimasystem zur Bekämpfung der Folgen bzw. Ursachen des menschlichen Klimawandels. Dieser Vorschlag versteht sich als Antwort auf die gescheiterten Versuche, das Problem politisch – also über Regulierung und Koordination – zu lösen. Ein durch menschliche Einflussnahme und Technologien verursachtes Problem scheint nur noch durch weitere Anwendung neuer Technologie gelöst werden zu können. Die Idee menschlicher Klimakontrolle ist jedoch nicht neu. Der Vortrag skizziert ihre facettenreiche Geschichte und spürt dabei den (un)möglichen Welten nach, welche sich in historisch bedingten Kontroll-Visionen seit der Jahrhundertwende widerspiegeln.
Seit 85 Jahren treibt der Zombie sein Unwesen, wankt durch Literatur, Film, Comic und Computerspiel. Vor allem das seit George Romero etablierte Szenario einer anwachsenden Masse an ruhelosen Verstorbenen, die trotz Hirntod auf schlurfende Menschenjagd gehen, hat sich tief in das popkulturelle Repertoire gegraben. Der gesellschaftliche Zusammenbruch, den sie herbeiführen, wird in der Forschungsliteratur gerne als Apokalypse bezeichnet. Aber inwiefern soll hier ein Jüngstes Gericht stattfinden, wenn auf den Untergang der weltlichen Ordnung keine neue, göttliche folgen will? Offenbar bedarf es weniger eines theologischen als eines politischen Apokalypsebegriffs, der sich mittels einer kritischen Lektüre der Schriften Carl Schmitts gewinnen lässt. Sein „Begriff des Politischen“ und die darin implizierte Souveränitätstheorie erweisen sich, bezeichnenderweise, als bestens geeignet, um stumme, hirntote Massen zu beschreiben, die das kommunikative Geschehen der Gesellschaft gerade deshalb unterbrechen können, da sie sich als Fressfeind des Menschen zuverlässig von diesem unterscheiden können.
Ohne ein ausgefeiltes Zusammenspiel komplexer neurochemischer Prozesse wäre unser bewusstes menschliches Erleben nicht denkbar. Bei pharmakologischer Stimulation kommt es indes mitunter zu einer substanziell andersartigen Wahrnehmung des Selbst und der Umwelt. Im Fokus des Vortrags steht die psychotrope Substanz Ketamin, die beim Menschen psychoseähnliche Zustände hervorrufen kann. Dabei sollen die Auswirkungen des Mittels auf einen bestimmten Aspekt des Bewusstseins erfasst werden: Die sog. Metakognition, die als „Wissen über das eigene Wissen“ gilt und als Maß für die individuelle Introspektionsfähigkeit angesehen wird. Unter Verwendung von funktioneller Magnetresonanztomographie soll der Einfluss von Ketamin auf die Metakognition untersucht werden, um größere Klarheit darüber zu schaffen, wie das Gehirn die Brücke baut zwischen der Realität und ihrer Wahrnehmung – und damit zwischen mitunter sehr unterschiedlichen Welten.
Kaum eine andere Entwicklung in den Biowissenschaften hat so große Hoffnungen auf Therapieerfolge für bisher unbehandelbare Erkrankungen geweckt wie die Kultivierung menschlicher pluripotenter Stammzellen (iPS-Zellen) und ihre kontrollierte Differenzierung in bestimmte Zelltypen. Und kaum eine andere Entwicklung wirft solche gravierenden ethischen Fragestellungen auf. Während zunächst das Problem der verbrauchenden Embryonenforschung bei der Forschung mit embryonalen Stammzellen im Vordergrund stand (und weiterhin steht), gerät gegenwärtig insbesondere auch die mögliche Verwendung von induzierten pluripotenten Stammzellen für Klonierungstechniken und für die künstliche Erzeugung von menschlichen Keimzellen in den Blickpunkt biotechnologischer und ethischer Überlegungen. In Kombination mit der Möglichkeit, mit neuen effektiven Verfahren wie der CRISPR-Cas9-Methode das Genom von Zellen gezielt zu verändern, ergeben sich zahlreiche neuartige Handlungsmöglichkeiten, die für eine ethische Bewertung eine Herausforderung darstellen.
PD Dr. Hedwig Pompe (Phil. Fakultät/Neuere deutsche Literatur; Arbeitsstelle Internationales Kolleg)
Prof. Dr. Dr. Jochen Sautermeister (Kath.-Theologische Fakultät/Moraltheologie)
Prof. Dr. Annette Scheersoi (Math.-Nat. Fakultät/Fachdidaktik Biologie)